Gotthard Alpentransversale

«Der Gotthard – eine Europapassage» - von Kilian T. Elsasser

Der Gotthardpass war ein Spätzünder. Wer zu Römerzeiten die Alpen überqueren wollte, der überschritt etwa den Septimer- oder den Reschenpass, denn die unüberwindbare Schöllenenschlucht schnitt Andermatt komplett vom Zugang zum Urnersee ab.

Erst mit der Teufelsbrücke und der Passage durch die Schöllenen wurde der Gotthard im 13. Jahrhundert zu einer Handelsroute, dank der die Zentralschweizer Rindvieh ins Tessin verkaufen, Soldaten nach Italien vermieten und den Transport von jährlich um die 100 Tonnen Güter über den Pass kontrollieren konnten. Letzteres war nur möglich, weil das Haus Habsburg ab 1365 den einfachsten Übergang der zentralen Alpen, den 1370 Meter hohen Brenner kontrollierte und nur ein laues Interesse am Gotthard hatte. Am Brenner wurde nämlich rund das Zehnfache an Güter über die Alpen transportiert.

Eine Alpentransversale, aber welche?

Erst 500 Jahre später, mit der Projektierung von Eisenbahnlinien durch die Alpen, rückte die Schweiz in den Fokus. Dabei stand zuerst eine Bahn durch den Splügen oder den Lukmanier zur Diskussion, was ein jahrelanger Kampf der Regionen mit sich brachte. Schliesslich setzte sich die Lobbyarbeit der Gotthard-Vereinigung durch, welche 13 Kantone hinter sich scharen konnte. Denn nachdem sich ihr Erfolg abzeichnete, schwenkten 1863 auch Zürich und Alfred Escher, damals der wichtigste Politiker und Wirtschaftskapitän, auf den Gotthard um. 1865 erklärte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, dass die kurz vor der Eröffnung stehende Brennerlinie nur für den Osten Deutschland genüge, aber nicht für den Westen. Und 1866 stellte sich auch das Königreich Italien hinter die Linienführung über den Gotthard, weil dies die kürzeste Verbindung zwischen dem Ruhrgebiet und den aufstrebenden Industriezentren Mailand, Turin und Genua darstellte. So konnte die Finanzierung der Gotthardbahn dank Subventionen des Königreichs Italien, des Kaiserreichs Deutschland, des Bundes, zahlreicher Kantonen, der Stadt Luzern, schweizerischen Privatbahnen und - gut zur Hälfte! - mit Aktien und Obligationen gesichert werden.

Die Gotthardbahn wird gebaut

Alfred Escher übernahm 1871 die Leitung der Gotthardbahn-Gesellschaft als Direktionspräsident. Für den Tunnelbau engagierte er den Genfer Unternehmer Louis Favre, der 1872 einen wahnwitzigen Vertrag mit einer Fixsumme von 42 Mio Franken und einer Bauzeit von acht Jahren vorschlug. Für jeden Tag vor oder nach der festgelegten Baufrist sollte er 5‘000 Franken erhalten oder bezahlen. Der Vertrag wurde für die Bauunternehmung ein Desaster, an dem sie wegen der zehnjährigen Bauzeit Bankrott ging. Doch der Tunnel riss auch Alfred Escher von seinem Sockel: Weil die Zufahrtslinien zum Tunnel bedeutend mehr kosteten als budgetiert, musste er vor Beendigung der Bauarbeiten zurücktreten. Er starb kurz nach der Eröffnung der Linie, wahrscheinlich ohne dass er diese je befahren hatte.

Ein Tunnelbau der Rekorde

Dank dem Einsatz neuer technischer Hilfsmittel wie Schlagbohrmaschinen und Dynamit, konnte zwischen Airolo und Göschenen auf gut 1100 Meter über Meer der längste Tunnel der Welt gebaut werden. Damit liegt der Kulminationspunkt dieses 15 km langen Loches gut 250 Meter tiefer als bei der Brennerbahn – ein entscheidender Vorteil. Denn mit grösseren Kurvenradien und geringeren Steigungen hatten die Planer sichergestellt, dass die Güter auf der Gotthardbahn schneller und günstiger durch die Alpen transportiert werden als über den Brenner.

Goldgräberdorf Göschenen

Während den Bauarbeiten wuchs Göschenen in kurzer Zeit vom kleinen Bergdorf mit einigen 100 Einwohnern zum bedeutenden Goldgräberort mit über 3000 Einwohnern. Die neuen Einwohner kamen meist aus Norditalien, drei Viertel aus dem Piemont. Frauen führten Hotels und Geschäfte, unterrichteten in eigens eingerichteten Schulen und zogen Kinder auf. Derweilen war die Arbeit im Tunnel hart und gefährlich. 199 Arbeiter verunfallten tödlich, mehr als an jeder anderen Tunnelbaustelle in den Alpen. Sie starben bei Sprengunfällen, wurden von herabfallenden Felsen erdrückt oder von Bauwagen überfahren. Unbekannt ist die Höhe der Opfer, die später an einer Staublunge oder anderen Krankheiten starben.

Der erste Streik mit Todesopfern seit der Gründung des Bundesstaates 1848 ereignete sich am 28. Juli 1875 in Göschenen: Die Mineure legten die Arbeit nieder und versammelten sich vor dem Haus des Gemeindepräsidenten. Sie verlangten mehr Lohn, eine bessere Belüftung des Tunnels und die Auszahlung des Lohns in bar. Die eilends herbeigerufene Urner Miliztruppen war von der Situation schwer überfordert: sie schossen in die unbewaffneten Streikenden und töteten vier Personen. Der Streik änderte nichts an den prekären Arbeitsbedingungen. Wenigstens wurde den Arbeitern der Lohn nun in bar ausbezahlt.

Der Mythos Gotthard wird geboren

Die Gotthardbahn wurde rasch zu wichtigsten und hochrentablen Alpentransversale, wodurch das technische Wunderwerk bis zum Ersten Weltkrieg zur bedeutendsten Tourismusattraktion der Schweiz wurde. Später, während dem zweiten Weltkrieg, dienten die Funktion als neutraler Transitdienstleister als Faustpfand dafür, nicht erobert zu werden. So wurde der Gotthard zum schweizerischen Mythos der Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit, dessen Transitgeschichte mit der Eröffnung des Gotthardbasistunnels 2016 weitergeschrieben wurde.

Treno Gottardo

Der Treno Gottardo fährt auf der ursprünglichen Eisenbahnstrecke mit ihren weiten Kehrtunnels und spektakulären Brücken hinauf in Richtung Gotthardpass, dann durch den ursprünglichen Weltrekordtunnel zwischen Göschenen und Airolo und danach wieder gemütlich hinunter zum anderen Fuss der Alpen.

Rundgang Gotthardtunneldorf

Der Spaziergang führt durch den Visierstollen, in dem eine Sprengschau zeigt, wie der Tunnel gebohrt wurde. Weitere Stationen sind: die Zollbrücke aus der Saumpfadzeit, die Villa Bergruh des Bahnhofbuffet-Wirts und erfolgreichen Volksschriftstellers Ernst Zahn sowie das Kraftwerk. Der Eintritt ist frei. Von November bis April sind einige Stationen geschlossen

Stützpunkt Göschenen

Vom Stützpunkt Göschenen aus wird der betriebliche Unterhalt der Strecke A2 Amsteg bis Airolo mit dem Gotthardstrassentunnel und der Gotthardpassstrasse Göschenen bis Airolo ausgeführt.

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