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Lago-Maggiore

«Der Sehnsuchtsort» - von Omar Gisler

Seit Menschen reisen, sind sie vom Lago Maggiore begeistert. Während Schriftsteller und Dichter sich mit Lobeshymnen übertrumpfen, gehen wir dem Mythos des bis zu 372 Meter tiefen Sees auf den Grund. Mit Zahlen, Daten und Fakten.

Dass man sich am Lago Maggiore – italienisch auch «Verbano» (nach der keltischen Wassergottheit Verbeia) genannt – gut erholen kann, wussten schon die Römer, die ihre altgedienten Legionäre hier ihren Lebensabend verbringen liessen. Seinen heutigen Ruf verdankt der Lago Maggiore vor allem den Borromäischen Inseln. Seit 1630, als das Adelsgeschlecht der Borromeo die Isola Inferiore (heute Isola Bella) bei Stresa zu einem irdischen Garten Eden ausbaute, zählen die Inseln zu den grössten Sehenswürdigkeiten Italiens. Der französische Schriftsteller Gustave Flaubert hielt sie für den «sinnlichsten Ort» der Welt.

Im 19. Jahrhundert flanierte fast der gesamte europäische Adel auf den prachtvollen Uferpromenaden zwischen Stresa und Baveno mit Blick auf die Borromäischen Inseln. Sogar der Orient-Express hielt auf seiner Fahrt von Paris nach Istanbul im 4000-Einwohner-Dorf Stresa. Einen ähnlichen Boom erlebte auch die Schweizer Seite des Sees: Namentlich Ascona und Locarno avancierten zu Orten der Sehnsucht, wo man in den Strassencafés am Seeufer den Traum vom Dolcefarniente auslebte. «Ascona regt die meisten nicht zum Schaffen an, sondern zum Nichtstun», schrieb Erich Maria Remarque, der Autor von «Im Westen nichts Neues», der jahrelang in der Region lebte. «Wie vielen bin ich schon begegnet, frisch angekommen mit dem Vorsatz, «das Werk» zu schaffen, zu vollenden! Bald sah man sie gemächlich mit den anderen im Sonnenschein vor dem Albergo sitzen und fleissig auf den Lago Maggiore blicken.»

Auf den Adel, die Künstler und Lebenskünstler folgten die Massen. Die Deutschen schlossen den «Laggo Matschorre» ab den 1950er-Jahren in ihre Herzen, weil hier alles genauso aussah, wie es in Italien auszusehen hatte: kleine Fischerdörfer, Pasta, Palmen, Sonne und Wein. Sie verwandelten Ascona in «das seltsamste Dorf der Welt», um den Titel von Curt Riess‘ Ascona-Monografie zu zitieren. Der 5000-Einwohner-Ort war zwischenzeitlich derart in Mode, dass der Automobilhersteller Opel 1970 den Namen Ascona, diese Suggestion einer kontrollierten Exotik, für sein familientaugliches Mittelklassemodell wählte. Bis 1988 wurde der Opel Ascona mehr als drei Millionen Mal verkauft.

Mit dem Ausbau der Autobahnen und dem Aufkommen der Billigflieger erhielt der Lago Maggiore dann Konkurrenz durch Rimini und Mallorca, die zu den neuen Traumzielen der Massen avancierten. Der Lago Maggiore blieb trotzdem ein beliebter Rückzugsort, gerade für Besitzer von Zweitwohnungen. Ein Umstand, mit dem in Deutschland sogar Wahlkampf betrieben wurde: «Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen», konnte man 1972 in der Bundesrepublik auf Plakaten lesen. Zwar hat der Immobilienboom das Ortsbild – euphemistisch formuliert – nicht überall aufgewertet. Dennoch faszinieren die Dörfer am See, «wo von den dunklen Berggipfeln sehnsüchtige Schönheit sich im grünwelligen See spiegelt» und «in der Ferne die schneestrahlenden Zacken der Alpen» leuchten, bis heute. Was Stendhal 1811 empfahl, ist daher immer noch gültig: «Wer zufällig ein Herz und ein Hemd besitzt, verkaufe dieses, um den Lago Maggiore und seine Umgebung zu besuchen …»

Diese ist recht weitläufig. 66 Kilometer lang und, im Borromäischen Golf, bis zu zehn Kilometer breit ist der Lago Maggiore. Entdecken lassen sich der See und die Orte an seinen Ufern am besten per Schiff. Wir liefern Ihnen Zahlen, Daten und Fakten, damit Sie zu neuen Ufern aufbrechen oder zumindest bei Diskussionen in einer Trattoria mit Trivia-Fakten über den Lago Maggiore aufwarten können:

Zahlen & Fakten

80,1 Prozent des 212,5 Quadratkilometer grossen Lago Maggiore gehören zu Italien, die restlichen 19,9 Prozent zur Schweiz.

3 Regionen grenzen an den Lago Maggiore: das Piemont, die Lombardei und der Kanton Tessin.

193 Meter über Meer liegt der Seepegel im Mittel. Damit ist der Lago Maggiore der tiefste Punkt der Schweiz.

9 Inseln ragen aus dem Lago Maggiore. Bei Brissago liegen die beiden Isole di Brissago mit ihrem botanischen Garten: Isola di San Pancrazio und Isola di Sant’Apollinare. Nördlich von Cannero Riviera thronen auf zwei Inselchen die Ruinen der Castelli di Cannero. Stresa und Verbania vorgelagert sind die insgesamt fünf Borromäischen Inseln.

9 Zuflüsse speisen den Lago Maggiore, namentlich die Flüsse Ticino, Maggia, Toce, San Bernardino, Erno, Boesio, Tresa, Verzasca und Cannobino.

1490 erstellte Domenico Maccaneo die erste Karte des Lago Maggiore. Die Bezeichnung Lago Maggiore weist darauf hin, dass es sich um den grössten See im lombardisch-piemontesischen Gebiet handelt. In Italien ist nur der Gardasee noch grösser.

4 Grad beträgt die durchschnittliche Wassertemperatur des Lago Maggiore am 6. Januar, wenn im Hafenbecken von Brissago jeweils das Drei-Königs-Schwimmen stattfindet. Im August wurden schon Wassertemperaturen von 27 Grad gemessen.

150 Tonnen Fisch ziehen Berufsfischer pro Jahr aus dem Lago Maggiore.

35 Schiffe umfasst die Flotte der Navigazione del Lago Maggiore. www.navigazionelaghi.it

1826 erfolgte die Einführung der Dampfschifffahrt. Der Raddampfer Piemonte ist nach wie vor in Betrieb. Er wurde 1904 von der Firma Escher-Wyss gebaut.

1100 Passagiere kann die Fähre Verbania transportieren. Das grösste Schiff der Flotte der Navigazione del Lago Maggiore kommt hauptsächlich bei der Lago-Maggiore-Express-Tour zum Einsatz.

35 Meter ist die Kupferstatue von Karl Borromäus hoch. Der Carlone («Riesenkarl») wacht seit 1624 über Arona. Bis zum Bau der Freiheitsstatue von New York war der Koloss die höchste von Innen begehbare Statue. Traumhaft ist die Aussicht nach wie vor. Durch Auge, Mund und Nase blickt man auf den See.

16 Hektaren umfasst der Park der Villa Taranto in Verbania, einer der schönsten botanischen Gärten der Welt. Zu verdanken ist er einem schottischen Hauptmann, der die typisch italienischen Terrassen ab 1931 mit dem englischen Gartenbau verbunden hat. Heute ist die am See gelegene Kunstlandschaft mit ihren rund 20‘000 exotischen Pflanzen im Besitz des italienischen Staates.

12 Kilometer misst der Durchmesser des Asteroiden 3883, der 1994 auf den Namen Verbano getauft wurde. Er rast mit einer Geschwindigkeit von 18,5 Kilometern pro Sekunde durch das Weltall.

280 Sonnentage im Jahr verzeichnet der Lago Maggiore. Im Durchschnitt regnet es an 7 Tagen im Monat. Die mit 101 Millimetern grösste Niederschlagsmenge fällt in der Regel im November.

7000 Zuschauer finden auf der Piazza Grande in Locarno Platz, die sich jeweils im August während des Filmfestivals in das grösste Freiluftkino der Welt verwandelt.

3 Fünf-Sterne-Hotels befinden sich in Ascona. Eden Roc, Castello del Sole und Giardino gehören zu den besten Ferienhotels der Schweiz.

179 Zimmer gibt es im Grand Hotel des Iles Borromees and Spa in Stresa, einer der besten Adressen am Lago Maggiore. Das 1863 eröffnete Hotel wirbt mit dem Slogan «Where everything is perfect».

7 respektive Seven ist in Ascona das Synonym für Lifestyle, seit der Multimillionär Stefan Breuer am 7.7.2007 das Trendlokal Seven eröffnete.

24 Sorten Gelati produziert Marco Carletto in seiner Gelateria Vera in Muralto (in der Nähe des Bahnhofs von Locarno). Einem Test des Tessiner Fernsehen RSI zufolge handelt es sich um das beste Speiseeis im Kanton.

1541 erteilte Kaiser Karl V. den Einwohnern von Luino das Privileg, in der Wochenmitte einen «mercatum liberum et franchum» durchzuführen. Seitdem bieten die Händler jeden Mittwoch von 8.30 bis 17 Uhr ihre Ware feil. Mittlerweile umfasst der Mercato di Luino über 400 Stände.

34 Grad warm ist das Wasser im Thermalbecken im Lido von Locarno. Wer Adrenalinschübe sucht, stürzt sich auf die vier Rutschen, darunter die erste Loopingrutsche der Schweiz.

15 Meter hoch ist der romanische Campanile der Wallfahrtskirche Santa Caterina del Sasso. Diese bescheidene Höhe entspricht dem Geist der einst schwer zugänglichen Einsiedelei am Seeufer, die im 13. Jahrhundert in ein Kloster umgewandelt wurde. Mit dem Schiff oder über einen 51 Meter hohen Aufzug ist Santa Caterina del Sasso mittlerweile gut erreichbar und aufgrund seiner eindrücklichen Lage eine der grössten Attraktionen des Lago Maggiore.

437 Seiten umfasst das Buch «Geist der Utopie», das der deutsche Philosoph Ernst Bloch 1917 im Exil in Locarno vollendete. Es beginnt mit folgenden Sätzen: «In unsere Hände ist das Leben gegeben. Für sich selbst ist es längst schon leer geworden. Es taumelt sinnlos hin und her, aber wir stehen fest, und so wollen wir ihm seine Faust und seine Ziele werden.»

321 Meter hoch ist der Monte Verità bei Ascona und somit eigentlich mehr ein Hügel als ein Berg der Wahrheit. Nonkonformisten, die der starren bürgerlichen Gesellschaft den Rücken kehrten, suchten hier ab 1900 nach einem dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Der Monte Verità gilt als Wiege der alternativen Bewegung Europas.

14 Brissago-Zigarren am Tag hat Wachtmeister Jakob Studer bei seinen verbissenen Recherchen in den Romanen von Friedrich Glauser gequalmt. Zwanzig Sekunden benötigte eine Sigaraia in der 1847 eröffneten Tabakfabrik von Brissago einst, um eine «Krumme» zu drehen.

30‘391 Einwohner zählt die Stadt Verbania. Die Hauptstadt der Provinz Verbania-Cusio-Ossola ist damit der grösste Ort am Lago Maggiore und ein «Beispiel für eine starke Zersiedelung». Der Ortsteil Cambiasca ist mehr als fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.

7 Campingplätze gibt es in der Gemeinde Tenero-Contra. Der bekannteste ist Campofelice mit seinen 581 Stellplätzen und 115 Mietunterkünften. Der Name ist Programm: Wo, wenn nicht auf diesem Feld am Seeufer, soll man glücklich werden? Dies sehen auch die Experten des ADAC so, die dem 15 Hektaren umfassenden Campofelice das Prädikat «Superplatz» verliehen haben.

4 Krimis hat Bruno Varese bereits verfasst: Schauplatz von «Wenn es Nacht wird am Lago Maggiore», «Die Tote am Lago Maggiore», «Intrigen am Lago Maggiore» und «Totenstille über dem Lago Maggiore» ist – Sie werden es erraten haben – der Lago Maggiore.

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