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Arbedo-Energy

«Die Super-Batterie» - von Omar Gisler

Kran statt Staudamm: In Castione testet eine Tessiner Firma eine revolutionäre Methode für die Speicherung von erneuerbarer Energie. Selbst Bill Gates ist begeistert.

«Was ist denn das?», werden Sie sich bei der Einfahrt in den Bahnhof von Arbedo-Castione sicherlich fragen, wenn Sie den über siebzig Meter hohen Turm mit seinen sechs blauen, krakenhaften Auslegern erblicken. Die Antwort lautet: Vielleicht die Lösung für eine der grössten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Start-up «Energy Vault» testet in Castione eine neue Speicherform von Energie, die auch den Philanthropen und Weltverbesserer Bill Gates, den zweitreichsten Mann der Welt, begeistert: «Wind- und Solarenergie werden nicht ihr volles Potenzial entfalten, wenn wir die Speicherung von Energie nicht klar vorantreiben», twitterte er im Sommer 2018. Denn Solar- und Windenergie gibt es nur dann, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Und da die Lösungen für grosse Probleme oft ganz trivial sind, stösst das Tessiner Projekt weltweit auf grosses Interesse, nicht nur bei Bill Gates.

Pumpspeicherkraftwerk ohne Überflutung

Das Prinzip von Energy Vault ist tatsächlich denkbar einfach: Betonblöcke am Seil per Kran hochziehen (das speichert Energie), und bei Bedarf wieder herunterlassen (das setzt Energie frei). Für Hobbyphysiker: Potenzielle Energie ist gleich Masse mal Höhe mal Erdanziehung. Falls Sie nur Bahnhof verstehen, hier die ausformulierte Version: mit überschüssigem Strom, etwa aus Wind- oder Solarkraftwerken, wird ein Kran betrieben, der schwere, aber kostengünstige Lasten wie Bauschutt hochzieht. Solange der Block oben bleibt, ist die dafür aufgewendete Energie gespeichert. Steigt die Nachfrage nach Strom, werden die über 35 Tonnen schweren Blöcke herabgelassen, die Energie ist wieder frei.

Im Prinzip funktioniert der 72 Meter hohe Kran von Castione ähnlich wie ein Pumpspeicherkraftwerk – nur dass dabei nicht ganze Täler überflutet werden. Und im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Batterien, die bei Akkus zum Einsatz kommen, werden keine umweltschädlichen chemischen oder metallische Substanzen benötigt. Mit dem Kran-Prinzip könnten erneuerbare Energien gespeichert und der schwankenden Produktion angepasst werden. Der Schwachpunkt von Wind- und Solarenergie, eben die fehlende Speichertechnik, könnte somit ausgemerzt werden.

Laut Energy Vault erlaubt ein 120 Meter hoher Turm die Speicherung von 35 MWh an elektrischer Energie. Damit liessen sich 2000 bis 3000 Wohnungen für acht Stunden mit Strom versorgen, unabhängig von Topografie und Rohstoffvorkommen. Der Einsatz der knapp zehn Millionen Franken teuren Kräne ist in Wüsten, wo Sandcontainer hochgezogen werden, ebenso denkbar wie in aufstrebenden Ökonomien wie Indien, deren Netzstabilität oftmals zu wünschen lässt. Nach Indien soll denn auch der Prototyp von Castione dereinst verkauft werden, wenn die Testphase – insbesondere der Software, die den ganzen Prozess steuert – zufriedenstellend ausfällt.

Nicht alles eitel Sonnenschein

Dass es an dem Projekt trotz allen Vorschusslorbeeren Zweifel gibt, hat mit einer Vorgeschichte zu tun, die sich um die 2007 in Biasca gegründete Solartechnologiefirma Airlight Energy dreht. In Biasca bauten Ingenieure einen Prototyp, und in der Wüste von Marokko errichteten sie eine Testanlage, die den Ziegelofen eines Zementwerks mit grünem Strom versorgen sollte. Sie experimentieren dort mit Solarthermie. Diese ist für heisse Standorte besser geeignet als die Fotovoltaik. Letztere verwandelt Sonnenlicht zwar direkt in Strom, aber ihre Leistungsfähigkeit sinkt bei zunehmender Temperatur. Dagegen kann es der Solarthermie nicht heiss genug sein. Sie bündelt die Sonnenenergie zu grosser Hitze – zum Beispiel in Form von Dampf, der dann zur Stromgewinnung auf eine Turbine geleitet werden kann.

Verdampft sind auch die Subventionen des Bundes, die in das Projekt gesteckt wurden. Im Sommer 2016 ging Airlight Energy pleite, über dreissig Angestellte verloren ihren Job. Die Gemeinde Biasca wiederum musste den riesigen Prototypen, den der «Corriere del Ticino» als ein «störendes Element nicht eingehaltener Versprechen und geplatzter Träume“ bezeichnete, für 100‘000 Franken entsorgen. Damit sich die Geschichte in Castione nicht wiederholt, hat die Gemeinde vorgebaut. Energy Vault erhielt die Baubewilligung für sein Vorhaben nur unter der Auflage, eine Garantie in der Höhe von 200‘000 Franken zu hinterlegen. Mit diesem Betrag wären die Kosten für eine allfällige Entsorgung des Krans gedeckt, sollte der Traum der Super-Batterie platzen.

Informationen zum Kran

Sie sollten keine Energie damit verschwenden, den Turm von Castione aus der Nähe besichtigen zu wollen. Denn das Energy-Vault-Gelände beim Bahnhof Arbedo-Castione ist abgesperrt. Auf www.energyvault.com wird Ihnen das Speicherprinzip sehr anschaulich – inklusive Videoanimation – vorgestellt.

Turmbesuche

Wenn Sie auf einen Turm hochsteigen wollen, empfiehlt sich die Weiterfahrt nach Bellinzona respektive zum Castelgrande. Vom grossen Burgturm reicht der Blick bis nach Castione und zum Energy-Vault-Kran.

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