Ein kleines Dorf in der Leventina. Und ein kleiner Eishockeyklub,
der seine Fans in der ganzen Welt hat. Der HC
Ambrì-Piotta ist ein Mythos.
Nein, ästhetisch ist sie nicht, die «Pista La Valascia».
Und den Anforderungen des modernen Profi-Eishockeys
genügt die in den 1970er Jahren errichtete Eishalle längst
nicht mehr. Zudem liegt sie mitten in einem Lawinenkegel.
Letzteres wusste man schon, als der 1937 gegründete HC
Ambrì-Piotta (HCAP) dort sein erstes Spiel austrug. Schliesslich bedeutet «Valascia» ja genau das – Lawinenhang.
Zähneknirschend gaben die Leventiner deshalb dem
Druck der Liga-Verantwortlichen nach, die mit Lizenzentzug
drohten. Bis Ende 2021 wird der HCAP seine Heimspiele
noch in der altehrwürdigen Kultstätte mitten im
Dorf austragen, ehe er seine neue Arena bezieht.
Der 53 Millionen Franken teure Neubau, der 7000 Zuschauern
Platz bietet, kommt auf das Gelände des ehemaligen
Militärflugplatzes zu stehen. Konzipiert hat den neuen
Eistempel der Stararchitekt Mario Botta, dessen Atelier sich
in Mendrisio befindet, nahe der italienischen Grenze. Botta
entspricht dem Archetypus eines HCAP-Fans: Neunzig Prozent
der Tifosi nehmen für die Heimspiele eine Anreise von
über fünfzig Kilometern in Kauf. Sie vereint eine Mission:
den Mythos HCAP zu bewahren.
Auch aus der Deutschschweiz reisen HC-Ambrì-Piotta-
Fans an. Neu umsteigefrei mit dem Treno Gottardo ab Basel/
Luzern oder Zürich. Ab der Saison 2021/2022 sollen
nach den Heimspielen diese Fans auch wieder sicher mit
dem Treno Gottardo nach Hause reisen können. Die Partner
SOB und der HCAP Die Partner
SOB und der HCAP realisieren dazu in der aktuellen
Saison Test-Extrazüge.
Wo Welten aufeinanderprallen
Die lokale Verehrung des HCAP speist sich hauptsächlich
aus der Abgrenzung zum Lokalrivalen Lugano. Beim
Tessiner Derby prallen zwei Welten aufeinander: das arme
Bergdorf gegen den reichen Finanzplatz, Schattental gegen
Sonnenstube, Klein gegen Gross, Herz gegen Geld.
Ambrì gegen Lugano. Das Faszinierende an dem ungleichen
Duell: Man weiss nie, wie es ausgeht. Das liegt in
erster Linie an der Innovationskraft und dem Überlebenswillen
des Underdogs. Obwohl die Dörfer Ambrì (370 Einwohner)
und Piotta (250 Einwohner) im Winter zwei Monate
lang im Schatten der Gebirgskegel liegen, agieren die
Bergler oft erstaunlich weitsichtig. So war Ambrì 1971 der
erste Klub Europas, der einen Profi aus Übersee einflog:
den Kanadier Andrew James Bathgate, damals 39 Jahre
alt und gestählt aus über tausend NHL-Einsätzen. Das Salär
des Superstars (90’000 Franken) spielte Ambrì in einem
einzigen Freundschaftsspiel wieder ein. Der Gegner?
Natürlich der HC Lugano.
Il Derby
Der HCAP gehört seit 1985 zum Inventar der höchsten
Spielklasse. In jenen Jahren avancierte auch «Il Derby»
zwischen Ambrì-Piotta und Lugano zu einem Ereignis, das
den ganzen Kanton in seinen Bann zu ziehen begann.
Denn dank den Millionen des Mäzens Geo Mantegazza
entstand in den 1980er Jahren das Grande Lugano, das
1986 den ersten von bisher sieben Meistertiteln gewann.
In der Leventina hielt sich der Jubel darüber in Grenzen.
Als der HCAP in der darauffolgenden Saison dem Meister
den Meister zeigte, legte Ambrì Trainer Roland von
Mentlen nach dem Derby-Sieg in Lugano den 87 Kilometer
langen Heimweg zu Fuss zurück.
Leiden, Drama und La Montanara
An seinen Erfolgen wäre der Klub aber beinahe zugrunde
gegangen, denn man musste den Spielern Prämien bezahlen
und wollte das Publikum mit teuren Stars bei Laune
halten. Mit anderen Worten: Man griff nach den Sternen
und fiel auf die Nase. Immerhin blieben die Fans dem Klub
trotz bescheidenen Resultaten stets treu ergeben. Denn
Ambrì ist mehr als Torjubel. Ambrì, das ist wie das echte
Leben. Es geht rauf und runter. «Man kostet als Fan diese
Leiden aus und geht voll ins Drama hinein», analysierte
Peter Jaks einst das Profil des Ambrì Anhängers. Umso inbrünstiger
wird nach Zitterpartien die legendäre Siegeshymne
La Montanara angestimmt, das Lied der Berge. Dieser
Triumphgesang ist das Gegenstück zum Klagelied, das
man im Tal oft hört. SBB, Post und Armee bauten Stellen ab,
das Stahlwerk Monteforno schloss die Tore, die Autobahn
versetzte vielen Gastbetrieben entlang der Hauptstrasse
den Todesstoss. Von dieser Tristesse ist an Matchtagen
nichts zu spüren. Tausende Zuschauer, die aus der ganzen
Schweiz anreisen, hauchen der Region dann wieder Leben
ein. Ambrì bedeutet Leben. «Non moriremo mai», wir werden
niemals sterben, haben die Fans auf ein Plakat geschrieben.
Mythen sind unsterblich. Forza Ambrì!
La Montanara - Das Lied der Berge
Là su per le montagne,
fra boschi e valli d’or,
tra l’aspre rupi echeggia
un cantico d’amor.
Là su per le montagne
fra boschi e valli d’or,
tra l’aspre rupi echeggia
un cantico d’amor.
La montanara, ohè!,
si sente cantare,
cantiam la montanara
a chi non la sa?
La montanara, ohè!,
si sente cantare.
Cantiam la montanara
a chi non la sa.
Là su fra i monti
dai rivi d’argento
una capanna
cosparsa di fior.
Era la piccola
dolce dimora
di Soreghina,
la figlia del Sol.Der Begriff «La Montanara» bezeichnet
auf Italienisch eine Berglerin.
Antonio Ortelli, der in der
Nähe von Vicenza geboren wurde,
verfasste 1927 eine Ode an eine
Frau, die in den Bergen wohnte.
Daraus entstand das Lied «La
Montanara», das im deutschen
Sprachraum als «Das Lied der Berge
» bekannt wurde.